Juni 2020TEXT: Sarah SchumacherFOTO: Klaus Vyhnalek (www.vyhnalek.com)

Gut drei Monate sind vergangen, seit unser Alltag abrupt abbrach. Die Corona-Krise hat unsere Lebensumstände und Gewohnheiten grundlegend verändert. Doch was genau sind die Folgen dieser Tiefenkrise: wirtschaftlich, gesellschaftlich, persönlich? Und was dürfen wir von der Zukunft erwarten? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hielt Lyreco Ende Mai 2020 einen virtuellen Talk mit dem Zukunftsforscher Matthias Horx.

 

 

Kann man die Zukunft voraussagen? Für den Zukunftsforscher Matthias Horx sind Prognosen für künftige Entwicklungen nichts Ungewöhnliches. Sein Team und er haben in der Vergangenheit viele Unternehmen im deutschsprachigen Raum – von kleinen bis ganz grossen – auf dem Weg in die Zukunft begleitet. Nur: Prognosen werden in der Regel nicht gerne gehört. Das liege vor allem daran, dass sie auf Veränderungen hindeuten, die mit Zeit und Kosten verbunden sind: also Aufwand, so Horx. Ein Aufbruch aus der Komfort-Zone wäre angezeigt, doch wer mag das schon?

Erst wenn man sich die Zukunft vorstellen kann, beginnt der Weg. »
Matthias Horx, Zukunftsforscher

Veränderung schafft Situationen, die wir noch nicht kennen. Das kann auch Angst erzeugen. «Je mehr Sie in diese Zukunft schauen, desto blinder werden Sie», erklärt der Futurologe im Rahmen des Online-Talks «Zukunft frei Haus», der sich an unsere Kunden, Lieferanten, Partner und Mitarbeitenden richtete. «Deshalb haben wir die Methode der Regnose eingeführt. Das funktioniert so: Sie versetzen sich innerlich in die Zukunft und schauen zurück. Welche Bilder sehen Sie? Es macht einen verblüffenden Effekt, wenn man das eigene Zukunftshirn einsetzt. Doch erst, wenn man sich die Zukunft vorstellen kann, beginnt der Weg».

Die Auswirkungen der Krise

Wo Weltmächte zuvor in oft sehr unterschiedliche Richtungen strebten, habe Corona eine Wende gebracht, ist sich Horx sicher. Das grosse Kollektiv strebte plötzlich eine gemeinsame Vision an, nämlich: Menschen zu schützen, insbesondere die Schwachen und Alten – und dafür hohe wirtschaftliche Risiken einzugehen. Viele Unternehmen hat der Lockdown in existenzielle Nöte gebracht. Andere wiederum erlebten einen ungeahnten Aufschwung. Die Krise habe so ziemlich alles auf den Kopf gestellt, so Horx: die Weltökonomie, unsere Alltagskultur, Wertesysteme, Verhaltensweisen. Dennoch drehe sich die Welt weiter, nur anders.

Die Menschen sind glücklicher und angstfreier geworden in einer Krise, die eigentlich sehr bedrohlich ist. »
Matthias Horx

Wie Menschen die ungewöhnlichen Ereignisse verarbeitet haben, zeigt eine jüngst veröffentlichte Studie aus Deutschland. 20 Prozent der Befragten sagen dort, dass sie die Krise als rein negativ empfunden haben. 55 Prozent meinten, es gäbe sowohl positive als auch negative Aspekte. Und 25 bis 30 Prozent glauben, dass das Positive überwiegt. Die Krise habe ihnen Dinge an sich selbst gezeigt, die sie davor nicht kannten. Sie sagen auch, dass sie ihre Bedürfnisse neu konfiguriert hätten. Zum Beispiel, indem sie anders kommunizieren wollen, Nähe brauchen oder Nähe anders organisieren müssen. «Die Selbstveränderungsprozesse sind erstaunlich stark», meint Zukunftsforscher Horx. «Die Menschen sind glücklicher und angstfreier geworden in einer Krise, die eigentlich sehr bedrohlich ist.»

Im Wandel liegen viele Chancen

Dass eine Krise Chancen wie Risiken birgt, ist unbestritten. Matthias Horx weist deshalb auch darauf hin, dass es immer diese 10 Prozent an kritischen Stimmen geben wird. Man solle sich aber bewusst sein, dass eine Krise immer eine Bereinigung sei, durch die Energie entstehe. Darin die Chancen zu erkennen, hat sich Horx auf die Fahne geschrieben. Wo er in der Zukunft dauerhafte Trends vermutet, haben wir kurz zusammengefasst. 

  • Homeoffice wird zur Normalität: Das Arbeiten von zuhause war in den letzten Monaten zwingend, wird uns aber auch in Zukunft auf freiwilliger Basis weiter begleiten. Auswirkungen könnte die flexible Arbeitsform auf die Grösse von Büroräumen haben, die massiv abnehmen könnten. In den Fokus rückt dafür die Magnetkraft von ästhetisch eingerichteten Büros, die soziale Wärme vermitteln.
  • Die Arbeit im Team wird wichtiger: Trotz einem Trend zu mehr Homeoffice werden auch der Austausch und die Arbeit im Team zunehmend wichtiger. Laut Horx werde die Arbeit komplexer und kommunikativer. Routinearbeiten hingegen werden immer mehr entfallen, da die Automatisierung schnell voranschreitet.
  • Das Kommunikationsverhalten wird sich dauerhaft verändern: Corona hat eine Digitalisierung des Kommunikationsverhaltens vorangetrieben, ist Horx überzeugt. Gleichzeitig telefonieren Menschen wieder länger. Auch Bücher werden wieder mehr genutzt, also «alte» analoge Techniken. Eine neue Mischform wird sich etablieren. Matthias Horx verwendet dafür den Begriff «digitalreal».
  • Businessflüge werden abnehmen: Schon heute bereiten sich Fluggesellschaften auf eine Welt vor, in der deutlich weniger Business geflogen wird. Denn viele Firmen haben während der Krise realisiert, dass Meetings und Verhandlungen auch online bewältigt werden können. Wer in Zukunft Business fliegt, wird dies ausgewählter tun.
  • Regionalität rückt wieder in den Fokus: Wie Matthias Horx in unserem Kommunikationsverhalten einen Trend hin zu «digitalreal» feststellt, sieht er auch einen Wandel hin zu «globallokal». Schon heute werden beispielsweise in der Autoindustrie weniger Einzelteile von China nach Deutschland transportiert. Die Fertigungstiefen im eigenen Land werden wieder gefördert.

Eine Entschleunigung auf vielen Ebenen

Was viele in der Zeit zuhause bei sich selber feststellen konnten, nämlich eine Entschleunigung, ist auch im Aussen spürbar. Die amerikanische Wirtschaftszeitung «The Economist» fasste diese Entwicklung unter dem Titel «Die 90-Prozent-Ökonomie» zusammen. Der Artikel besagt, dass 10 Prozent der bislang beschleunigten Sektoren –Kreuzfahrtschiffe, Billigflüge oder billig hergestellte Nahrungsmittel – nicht mehr zurückkehren werden. «Wir werden in einer entschleunigten Wirtschaftswelt ankommen», so der Zukunftsforscher. Viele Unternehmen oder Einzelpersonen zwingt die Krise dazu, unter härtesten Umständen nach neuen progressiven Möglichkeiten zu suchen. Das eröffnet neue Chancen, birgt aber immer auch ein gewisses Risiko.

Doch Matthias Horx streicht das Gute heraus: «Wir sind adaptive Wesen. Wir können auch anders.» Die Krise als Sprungbrett wahrzunehmen, bleibt die Herausforderung.

Lyreco Zukunftskonferenz

Zur Person

Matthias Horx ist Trend- und Zukunftsforscher und begleitet namhafte Firmen dabei, sich auf die Zukunft auszurichten. Nach einer Laufbahn als Journalist, Redakteur, Autor und Mitinitiator eines Trendbüros in Hamburg, gründete er 1998 das Zukunftsinstitut mit Sitz in Frankfurt und Wien, das international als einer der führenden Think Tanks bei Fragen zur Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft gilt. Sein aktuelles Buch «Die Zukunft nach Corona» ist Ende Mai 2020 erschienen. Mehr dazu unter www.horx.com.

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